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Ausstellungseröffnung

Eckart Meisel – Arbeiten auf Papier

Zentrum für leukämiekranke Kinder Universitätsklinik Leipzig 1.12.2009


Zeichnungen sind eine der direktesten, auch privatesten Mitteilungen in der bildenden Kunst. Mit ihnen zeigt sich der Künstler quasi ohne Netz, da gibt es nichts zu vertuschen, auch Übermalungen, ständiges Korrigieren sind auf den oft fragilen Papieren kaum möglich. Sie entstehen meist in einem Zug, wenigen Minuten oder Stunden. Wollen und Können, Vorlieben und Abneigungen werden sehr direkt sichtbar. Auch die Handschrift eines Künstlers hat im Zeichnen ihre Wurzeln, wird dort geerdet. Dabei geht es nicht darum, inwieweit jemand fotografisch etwas nachzeichnen kann, das ist zu erlernen, es geht um das Umsetzen des Gesehenen oder Erlebten in Bilder, geht um das Bildwerden eines Gedankens oder Gefühls.

Das ist Eckart Meisels Metier. Er zeichnet nicht vor der Natur, macht keine Studien zu Bildern. Er assoziiert frei, erfindet, kombiniert, bindet zusammen. Seine Blätter atmen Unmittelbarkeit und Frische, sind spontan, was nicht bedeutet, dass sie kunstlos oder einfältig wären, oder nur so schnell mal hingeschrieben sind. Ganz und gar nicht. In ihnen steckt bereits der gesamte Kosmos seiner Bildfindungen.

Meisel ist ein Künstler, der lustvoll mit dem Material kämpft, mit den Farben, den Gründen, dem was er will, es beim Zeichnen, Malen und keramischen Gestalten zu fassen und zu begreifen. Ein zäher listiger Kerl, ein aus dem Mangel heraus Arbeitender, der sich über sein künstlerisches Tun Leben, Lebendigkeit sichert. Es macht ihm Spaß, es fordert ihn heraus, es bestätigt ihn. Dabei greift eins ins andere: sein soziales Sein, die auf Papiere fabulierten farbigen Zeichnungen, die Malereien, die keramischen Gestaltungen, seine wie grad mal so hingeworfenen Texte, die am Computer entstehenden Grafiken-, ein einziger großer Zusammenhang, all das bedingt einander, feuert sich gegenseitig an.


In dieser Ausstellung erhalten sie anhand ausgewählter Zeichnungen, die alle 2006 entstanden sind, einen kleinen Einblick in dieses ausufernde Werk. Wie in einem Schaffensrausch scheinen ihm diese Zeichnungen aus der Hand geflossen zu sein. Lineaturen in Feder, Tusche und Kugelschreiber, unterlegt mit Wasserfarben, verstärkt durch leuchtende Ölkreiden auf kostbaren Büttenpapieren. Farbige Blätter, die dem Linearen verpflichtet sind und sich aufspannen können zu Bildräumen, in denen eigenwillig Abstruses geschieht. Traumwelten, oft gefangen in luftloser Stille, surreale Zwischenreiche. Eckart Meisel kennt beim Zeichnen keine Hemmungen, warum auch, er sieht sich sowieso als Außenseiter, also greift er bedenkenlos um sich, gräbt nach alten Schöpfungsmythen, sucht nach Ritualen, kosmischen Zusammenhängen, Urmustern menschlichen Verhaltens, sie mit unserem heutigen Sein ins Verhältnis zu setzen. Macht und Eros, Verhältnis der Geschlechter und immer wieder Verwandlungen sind die großen Themen, denen er nachspürt. Er spielt es durch, fabuliert, phantasiert, begibt sich selbst ins Geschehen, wird zum Ritter oder König, zum Sonnenmann oder Vogelmensch. Man spürt die Hast des Machens, das Eruptive, die leisen Zwischentönen, auch das Schalkhafte, das wie ein Kichern durch einige der Blätter weht.

Sich mit diesen Zeichnungen zu beschäftigen, ist zugleich vertracktes Spiel. Deshalb Vorsicht vor zu schnellem Verstehen-Wollen. Da ist nicht alles bis zuletzt aufzulösen. Je mehr sie eindringen werden in diese Bildwelten, je näher sie ihren Geheimnissen zu kommen meinen, umso nachdrücklicher können sie sich wieder vor ihnen zurückziehen, und sie werden einen neuen Zugang finden müssen. Doch keine Bedenken, es gibt viele Zugänge zu diesen Blättern. Das macht zugleich ihre Qualität aus, ist ihr besonderer Reiz, ihre ästhetische Herausforderung. Sie werden erst mit der Zeit erfahren, auf welche Weise der Künstler in seinen Blättern erzählt, direkt zugreift, raunt oder flüstert, betört und kichert, wie er Brücken baut zu den Betrachtern und sie zugleich wieder zerstört. Sehen sie hin, trauen sie ihrer Phantasie.

Lassen sie sich darauf ein, wie z.B. der Sonnenheld aufsteigt, mit seinem Masken-Schild, als wollte er wie einst Perseus die Medusa töten. Sicher kommt er die Stufen herauf und wird dem Wasser dennoch kaum standhalten, in das die Schlange mit dem merkwürdigen Frauengesicht geflüchtet ist, die Treppen hinab in die Tiefe. Oder lockt sie ihn in ihr eigenes Element, sein Feuer zu löschen... Es wundert kaum, dass der Fisch, altes Symbol von Eros und Fruchtbarkeit, übermächtig aus dem Nass springt und zum eigentlichen Beherrscher der Szene wird.

Oder der König mit der Pusteblume, der mit gespannten Flügeln ausschreitet, eine Pusteblume bei sich, die ihre Samen noch nicht verstreut hat. Traumlandschaft in die sich unverrückbar das Brustbild einer Frauengestalt geschoben hat, übermächtig, als wäre sie unberührbar. Das Blatt Wasserdrache und gelbe Blüte. Auch darauf eine Frau, hier mit Krone und verführendem Blick, zwischen deren Fingern eine kleine gelbe Blüte aufsteigt. Zauberin, die weder vor dem Stiermann links neben ihr noch vor dem Wasserdrachen in der Mitte des Blattes Furcht zu haben scheint. Und dann das undurchschaubare Schachspiel in freier Landschaft mit den zwei Göttinnen und dem König, der sich als übermächtige Figur gleich selbst aufs Schachbrett gestellt hat, während in der Ferne eine Wolke Regen auf eine Sphinx fallen lässt. Unergründbarer Zauber, das Spiel dieser Traumwesen, die irgendwo auch in unserem Inneren hausen, tief vergraben, verschüttet vom Lärm und Geschrei all der oberflächigen Bildzeichen, von denen wir täglich umstellt sind. Welch fesselnd unnahbare Ruhe hingegen auf dem Blatt der Drei Einäugigen, auf dem eine einäugige Sonne mit ihren Zackenstrahlen einen unter ihr Liegenden durchstößt. Und nicht nur ihn, auch den Fisch, an dem er sich festhält. Woher kennen wir das, was beunruhigt uns.

Sogar die in sich versunkene Lesende Frau, geborgen in ihrem eigenen Schatten, ist nicht nur eine Genreszene. Sie trägt einen Kopfputz, der in einem Schlangenkopf mündet. Die Schlange hier Symbol der Weisheit, des geheimen Wissens der Frauen, das sie früher zu Hexen gestempelt hat. In dem Blatt Maskerade verstecken sich Verwandlungen, Kreisläufe des Lebens. Der Kaspar, der nach der zackenstrahlenden Sonne greift und vom Tod geführt wird, eines dem anderen unentrinnbar verbunden. Oder die wunderbare Arbeit Meine Tiere und ich. Grünes Vogelwesen, rote Katzenfrau und blauer Fisch, die beherrschend aus dem wie selbstverständlich leiblosen großen Kopf steigen, mit ihm in dem weiten leeren Raum eine neue körperliche Einheit zu bilden. Rechts im Hintergrund steht sinnend der Stiermann, als würde er im vorderen Bildgeschehen seinem inneren Sein begegnen. Ganz anders Kein Benehmen. Wer hat keins, der mit rotem Hemd bekleidete König, der den dreiäugigen Fisch auf die neben ihm stehende nackte Frau richtet, oder eben diese Frau, die sich trotz ihrer Flügel nicht als Engel zeigt, obszön mit einem ihrer drei Beine in den schwarzen Kreis des Königs tritt, einäugig und einarmig, ihre drei Brüste wie schwere Steine am Hals. - Wer träumt das, aus welchen Urmustern ist das gespeist und mit welch lockerem Leichtsinn ist diese groteske Szene ins Blatt gesetzt. Was für ein kombinatorisch hintersinniges Spiel. Ähnlich bei den drei Grazien, die von Paris offensichtlich alle drei den Apfel zugesprochen bekommen haben, nun in Konkurrenz auf immer verbunden. Oder der Kuss der Mücke. Beherrschend übermächtig breitet ein mückenähnliches Wesen seine schönen Flügel über den unter ihr wie leblos liegenden männlichen Körper, sichtbar ihre Brüste, ihn mit ihrem Stechrüssel einen Kuss zu geben. Wird sie ihn aussaugen, zeichnen, verwandeln, gar mit ihrem Kuss erwecken? Der Himmel rot, die sich zum Horizont streckende geflieste Fläche ebenso. Man wagt ihn kaum zu deuten, den geflügelten Mann links neben der Szene, als wäre er selbst der Liegende, einem erregend ambivalenten Traum verfangen.

Sogar der Künstler taucht in seinem Selbst mit Schnorchel ins Wasser ab, neben sich den lockenden Fisch. Er sieht auf uns mit wassergeweiteten Augen, als wäre er in einem Aquarium gefangen. Doch vergessen sie das schalkhafte Zwinkern nicht, das allerdings unter Wasser nur schwer gelingen kann. Denn sind nicht eher wir es, die in einem Aquarium hocken, kaum mehr fähig, unsere Sinne zu gebrauchen...

So ist jedes Blatt voller Anspielungen und Verweise, Traumland eben, surreales Spiel der Muster und Bedeutungen, des Vorn und Hinten der Größenverhältnisse. Eigentlich sind es Poesien des Ungreifbaren. Tauchen sie ein, in diese phantastischen Welten, mythen- und märchendurchwebt, sie werden fasziniert sein, Freude empfinden, sie werden erschrecken und aufatmen.

Ina Gille

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